von Baumgart's Fussballblog
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HistorieDie Niederlage gegen Aufsteiger Zaragoza im Pokalfinale 2004 gilt als Anfang vom Ende der „Galaktischen“. Zehn Erkenntnisse, warum Real Madrid verlor.
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José Maria Movilla und Real Zaragoza gewannen – mit dem simpleren Fußball – das Pokalfinale 2004 gegen Real Madrid – Foto: Miguelez Sports Foto/imago images
Per Definition begann die Ära der „Galácticos“ im Sommer 2000, als Barcelonas Superstar Luís Figo spektakulär die Fronten wechselte und sich unter anderem Raúl und Roberto Carlos in Madrid anschloss. Es folgten Zinédine Zidane (2001), Ronaldo (2002) sowie zwei Meisterschaften und ein Champions-League-Titel (zudem zwei Mal Aus im Halbfinale).
Vermeintlich komplett war dieses „Super-Team“ in all seinen Auswüchsen jedoch erst in der Saison 2003/04, als David Beckham dem Star-Ensemble die Krone aufsetzte – Real Madrid die Spielzeit, während der immer wieder der Traum vom Triple durch die Concha Espina geisterte, aber ohne großen Titel beendete.
Als Wendepunkt und Anfang vom Ende einer satten und unausgewogenen Generation wird meistens das Finale der Copa del Rey 2004 zitiert, als die „Galaktischen“ gegen Aufsteiger Real Zaragoza mit 2:3 (n. V.) unterlagen, dies allerdings gar nicht hätten müssen. Zehn Erkenntnisse, warum Real Madrid am 17. März 2004 verlor.
1. Schwierige Umstände
Das Endspiel im Olympiastadion zu Barcelona fand gerade einmal sechs Tage nach den Madrider Zug-Anschlägen statt, für deren Opfer vor dem Anpfiff eine Schweigeminute abgehalten wurde. Sicherheitsbedenken hatte es auch rund um das Finale gegeben – wie sehr das Attentat „vor ihrer Haustür“ die Spieler der damals berühmtesten Mannschaft der Welt beschäftigte, lässt sich nur vermuten.
Außerdem wurde bereits am 17. März gespielt, inmitten einer heißen Phase in allen Wettbewerben. Genau eine Woche zuvor hatte Real sich mehr oder weniger souverän im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Bayern München durchgesetzt, schon eine Woche später stand das Viertelfinal-Hinspiel gegen die AS Monaco an.
Die Blancos mussten zwischen dem 3. Januar und dem 11. April in 100 Tagen 26 Spiele absolvieren (alle 3,8 Tage ein Spiel). Gut drei Monate lang hechelte ein Kader, der qualitative Tiefe vermissen ließ, von englischer Woche zu englischer Woche.
Vier Tage vor dem Pokalfinale waren die Merengues übrigens bereits in der Liga auf Zaragoza getroffen, das zudem den FC Barcelona aus der Copa geworfen hatte – und das die Blancos wie in der Hinrunde (0:0) nicht bezwingen konnten (1:1). Kein Lieblingsgegner.
Spiel-Details
17. März 2004: Real Madrid 2:3 n.V. Real Zaragoza
Formation Real Madrid: Sánchez – Salgado, Helguera, Bravo, Roberto Carlos – Beckham, Guti – Figo, Solari (Portillo, 83.), Zidane – Raúl.
Formation Real Zaragoza: Láinez – Cuartero, Álvaro, Milito, Toledo – Cani, Sávio (Juanele, 96.), Ponzio (Generelo, 69.), Movilla – David Villa, Dani (Galletti, 61.).
Tore: 1:0 Beckham (23.), 1:1 Dani (29.), 1:2 Villa (44., P), 2:2 Roberto Carlos (47.), 2:3 Galletti (110.)
2. Ronaldos Fehlen
Alle „Galácticos“ waren in Barcelona dabei – Ronaldo, das „Phänomen“, allerdings nur als Edel-Fan auf der Tribüne. Auf dem Rasen wurde der Brasilianer schmerzlich vermisst – und positionell von Raúl vertreten, der als einzige Spitze im 4-2-3-1 fremdelte und ein sehr unauffälliges Spiel machte.
„El Siete“ kam der Strafraumpräsenz Ronaldos noch nicht einmal nahe, da Raúl – ähnlich wie heutzutage Karim Benzema – hauptsächlich zwischen den Linien oder in den Halbräumen umherschwirrte. Ronaldos Fehlen, das Madrids Spiel auch Tiefe nahm, war ein großer Teil der Erklärung für eine vom Ertrag recht überschaubare Offensiv-Performance des gestürzten Favoriten.
Ronaldo wurde 2003/04 Torschützenkönig der Primera División. – Foto: Philippe Desmazes/AFP/Getty Images
3. „Abwehr“ – und die Doppelsechs Guti-Beckham
Real Madrids Viererkette bestand in der Saison 2003/04 meistens aus Außenstürmer Roberto Carlos, dem kaum minder offensiv interessierten Michel Salgado – und einer improvisierten Innenverteidigung, die der umfunktionierte Mittelfeldspieler Iván Helguera und der umfunktionierte Linksverteidiger Raúl Bravo bildeten. Abgesichert wurde die Viererkette immerhin von einer Doppelsechs: Guti und David Beckham.
Manchmal ging das irgendwie gut, in diesem Fall allerdings nicht. Noch eher wurden vernünftige Abstände zwischen Mittelfeld und Angriff gewahrt, während der Abwehrverbund meistens schief in der eigenen Hälfte hing – nicht selten am seidenen Faden. Die meiste Zeit ergänzte nur Guti die Patchwork-Abwehr, der im Aufbau häufig abkippte und durchaus bemüht war, seine Position zu halten. Doch beispielsweise in der Entstehung des 1:1 klaffte in Reals Mittelfeldzentrale noch Sekunden nach einem Ballverlust ein großes Loch.
Es waren die unvermeidlichen Folgen der Personalpolitik in der ersten Ära Florentino Pérez’, der vor der Saison Sekundenkleber Claude Makélélé vom Hof gejagt hatte und neben „Zidanes“ höchstens noch „Pavónes“ duldete – Esteban Cambiasso, der 2003/04 durchaus öfter hätte spielen dürfen, war weder noch. Und nach der Saison weg. Bei Inter Mailand wurde der Argentinier – mit wie gegen den Ball – schnell zu einer jahrelangen Instanz im zentralen Mittelfeld.
Hinweis
Dieser Artikel erscheint in enger Zusammenarbeit mit Baumgart’s Fussballblog.
4. Freistöße – und sonst?
Beckham Mitte der ersten Hälfte zum 1:0 (24.) und Roberto Carlos zu Beginn der zweiten zum 2:2 (48.) schossen die beiden königlichen Tore – jeweils nach einem Freistoß (Beckhams erstes Freistoß-Tor als Blanco). Aus dem Spiel heraus gelang Madrid nicht allzu viel, aber dennoch mehr als Underdog Zaragoza – und die Chancen hatten es in sich.
Deren Verwertung ließ allerdings zu wünschen übrig. Guti (22.) und Solari (37.) vergaben aus aussichtsreicher Position, Beckham – wieder per Freistoß – traf den Pfosten (40.). Und Zidanes große Kopfballchance vereitelte Keeper Láinez stark (58.). Selbst wenn nur eine dieser guten Chancen genutzt worden wäre, hätte das Finale wohl einen anderen Ausgang gehabt.
5. Von Hierarchie und Abhängigkeiten
Real hatte mehr vom Spiel (durchweg 55 bis 60 Prozent Ballbesitz), auch die besseren Chancen – und sowieso die besseren Spieler. Diese hatten zudem allesamt sowohl große individuelle Fähigkeiten als auch Lust, diese kreativ zum Ausdruck zu bringen.
Sobald es jedoch ins letzte Drittel und um die entscheidenden Aktionen ging, verließen sie sich alle zum einen darauf, dass Zidane einen tödlichen Pass spielt (was ihm mehrmals gut gelang, auch wenn er manch riskanteres, aber verheißungsvolleres Passfenster nicht nutzte), und zum anderen auf die Durchbrüche des Roberto Carlos, dessen folgende Hereingaben am 17. März 2004 nicht wirklich ertragreich waren. Auch die beiden Schlüsselspieler erledigten auf diese Weise allerdings viel Dienst nach Vorschrift – mit mutigen, zwingenden (Einzel-)Aktionen wollte niemand wirklich vorangehen.
Die „Galaktischen“ scheiterten also auch an einer Mischung aus unklarer Hierarchie und fehlendem Tatendrang (was mit R9 möglicherweise jeweils anders gewesen wäre). Und daran, dass es eine fatale Abhängigkeit von den ersten 13, 14 Spielern gab (was erneut auf Pérez’ Personalpolitik abzielt). Die fehlende Kadertiefe setzte Madrid in diesen eng getakteten Monaten entscheidend zu, zu spüren auch mit fortlaufender Dauer des Pokalfinals.
6. Fehlender Defensiv-Leader
Wie bereits erwähnt, machte sich die klaffende Lücke bemerkbar, die Abräumer Makélélé unweigerlich hinterlassen hatte – die Abwehr an sich gab ein schier noch desaströseres Bild ab. Denn auch den ebenfalls vor der Saison weggeschickten Fernando Hierro hatte der amtierende Meister weder wirklich ersetzen wollen noch ersetzen können.
Während den Abräumer mit Guti nun ein eigentlicher Spielmacher geben sollte und in der Innenverteidigung Raúl Bravo sowohl positionsfremd als auch noch jung war, taugte mit Helguera der einzige Mann, der dafür in Frage gekommen wäre, nicht zum Abwehrchef – charakterlich wesentlich mehr Varane als Ramos. Mit Spielen, in denen sich das Fehlen des Letztgenannten im heutigen Madrid bemerkbar macht, kann Reals damalige Abwehr auch im Pokalfinale verglichen werden. Teils vogelwilden „Galaktischen“ (beziehungsweise den Mannen hinter ihnen) fehlte die entscheidende Souveränität.
7. Systemlosigkeit
In Ballbesitz ließ sich eine 4-2-3-1-Grundordnung ziemlich klar erkennen – doch das war auch schon das höchste der systematischen Gefühle. Hin und wieder spielte die Mannschaft von Carlos Queiroz seinen typischen geduldigen, sichernden Ballbesitzfußball, der gewissermaßen einen Teil der Defensivarbeit ersetzen sollte – ein richtiger Ansatz für dieses Team, doch das reichte längst nicht aus.
Gegen den Ball hatte Madrid – was auch am Personal lag, das die defensiven Positionen besetzen sollte – eine geradezu toxische Struktur. Denn besonders als sie ab der 67. Minute eine halbe Stunde in Überzahl (!) spielten, gerieten die Favoriten permanent in Unterzahlsituationen. Die Blancos standen und rannten teilweise irgendwo, verteidigten kaum im Kollektiv – und die Zweikampfführung jedes einzelnen ließ sowieso zu wünschen übrig, von Zidane bis Salgado. Gravierendes Beispiel: Gutis plump verursachter Foulelfmeter kurz vor der Pause.
Was auch immer Queiroz überhaupt ursprünglich vorgegeben hatte: Eine schlechte Raumaufteilung präsentierte Real Madrid auch in Ballbesitz. Häufig standen sich die Stars – was zu schönen, aber oft brotlosen Kombinationen auf engem Raum führte – geradezu auf den Füßen. Oder aber das komplette Gegenteil trat ein und beispielsweise Figo war auf dem Flügel ohne Unterstützung isoliert.
Auch wenn die Blancos größtenteils satt und über ihrem Zenit agierten: Mit einer ausgefeilteren Taktik (und etwas mehr Disziplin) hätte sich so viel Potenzial auszuschöpfen lassen. Wer deren Anwendung oder Umsetzung in welcher Form auch immer nicht für nötig hielt, sei einmal dahingestellt.
8. Wiedersehen macht (keine) Freude
Vor allem Rechtsverteidiger Salgado wurde von Zaragozas überragendem Linksaußen Sávio (von 1998 bis 2003 bei Real Madrid) schwindelig gespielt, der zudem das 1:1 durch Dani García vorbereitete – einem einstigen Canterano. Ein Gefühl, an das sich die Blancos gewöhnen durften, die der verliehene Fernando Morientes drei Wochen später im Trikot der AS Monaco aus der Champions League schoss.
Savio war es auch, der 2020 der MARCA verriet, für wie unwahrscheinlich ein Finalsieg Zaragozas gehalten worden war: „Als wir gewonnen hatten, war nichts geplant. Keine Feierlichkeiten, noch nicht einmal ein gemeinsames Abendessen. Niemand – außer unseren Fans, die immer an uns glauben – hatte so etwas erwartet. Wir sind einfach zurück ins Hotel gefahren und jeder hat etwas für sich gemacht.“
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9. Was wäre, wenn …
Über weite Strecken des Endspiels spielte Madrid zwar nicht überragend, aber doch so, dass es den Sieg verdient gehabt hätte. Der möglicherweise eingetreten wäre, wenn auch Beckhams zweiter Freistoß vom Pfosten im Netz gelandet wäre. Oder David Villa für seinen Tritt gegen Beckham in der regulären Spielzeit Rot, beziehungsweise Gabriel Milito beim Stand von 2:2 zwingend Gelb-Rot gesehen hätte. Oder Iker Casillas statt Pokal-Keeper César Sánchez gespielt und Gallettis tückischen Distanzschuss zum 2:3 gehalten hätte, oder … Zidane hätte allerdings in der 120. Minute ebenfalls Gelb-Rot sehen müssen.
10. Das Verhältnis zur Copa del Rey
Seit 1993 standen die Königlichen lediglich fünfmal im Pokalfinale – und gewannen nur, wenn es prestigeträchtig gegen den Erzrivalen FC Barcelona ging (2011, 2014). Sicherlich verloren die Blancos etwa das Endspiel 2002 gegen Deportivo La Coruña– am 100. Geburtstag Real Madrids im Estadio Santiago Bernabéu – nicht absichtlich. Möglicherweise wäre ihnen das in einem Champions-League-Finale aber nicht passiert.
Rekordsieger Copa del Rey
- 1. FC Barcelona: 30
- 2. Athletic Club de Bilbao: 23
- 3. Real Madrid: 19
- 4. Atlético Madrid: 10
- 5. FC Valencia: 8
- 6. Real Zaragoza: 6
- 7. FC Sevilla: 5
- 8. RCD Espanyol, Real Unión Irún: je 4
- 10. Real Sociedad, Real Betis Sevilla, Deportivo La Coruña: je 2
- 13. Arenas Club de Getxso, RCD Mallorca: je 1
Hinter Rekordsieger Barça (30 Pokale) liegt sogar noch der Athletic Club aus Bilbao (24), ehe Madrid mit 19 Titeln folgt. Seine Prioritäten setzt der Rekordmeister anders. Die Niederlage gegen Zaragoza war also sicherlich verschmerzbar – doch gleichzeitig auch der garantiert ungewollte, jedoch ohnehin unvermeidliche Anfang vom Ende der vermeintlich so aussichtsreichen Saison 2003/04.
Und irgendwo auch der unvermeidliche Anfang vom Ende der berühmt-berüchtigten „Galácticos“.
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